Liebe Mitfeiernden und -studierenden, liebe Gießener:innen;
heute stehen wir wieder hier, um unseren Protest auf die Straße zu bringen. Denn wir wissen, dass sich ohne Protest unsere Gesellschaft und die Politik nicht verändern werden.
In der Vergangenheit haben studentische Bewegungen schon oft für Verbesserungen und gegen Ungerechtigkeit gekämpft. Deshalb stehen wir heute als Vertreter:innen der Studierendenschaft – kurz: AStA – zum 16. Mal an eurer Seite. Damals wurde gegen die Studiengebühren demonstriert. Diesen Kampf haben wir gewonnen und es wird nicht der letzte sein, den wir gewinnen.
Heute kämpfen wir gegen studentische Armut.
Heute kämpfen wir gegen ein marodes Bildungssystem.
Heute kämpfen wir gegen das Nichtgehörtwerden angesichts der vielen Krisen: Pandemie, Inflation, Klimawandel, Kapitalismus, Krieg und Nationalismus.
Wir Studierende gehören auch zu den Ärmsten in Deutschland. Trotzdem werden wir nur mit einer lächerlichen Einmalzahlung und einer BAföG-„Erhöhung“ abgespeist, die vor Gericht verhandelt wird – das ist nicht genug. Es ist nicht genug, weil die Mieten und die Preise trotzdem immer weiter steigen. Es nicht genug, weil viele von uns neben einem Vollzeitstudium zusätzlich fast in Vollzeit arbeiten müssen – entweder an den Unis ohne Mitbestimmung oder in den Kneipen ohne Arbeitsvertrag.
In der Pandemie wurden wir vergessen.
In der Inflation und der Energiekrise wurden wir vergessen.
Und auch in der Debatte um das BAföG werden wir vergessen – weil wir nicht gefragt werden, obwohl es uns betrifft.
Es wird an uns gespart, an unserem Bildungssystem und unseren Unis. Unsere Fachbereiche sind unterfinanziert und die Hörsaaldecken fallen uns auf die Köpfe. Eure Exzellenzscheiße und euer Drittmittelgeschubse kotzen uns einfach nur noch an!
Die #JLYou bleibt auch trotz hippem Anstrich ein neoliberaler und undemokratischer Verein. Ein Studium ist immer noch nicht für Alle möglich. Die Gremien, die über unser Studium entscheiden, sind zum Großteil immer noch von alten, weißen Profs besetzt. Und uns wird als Studierendenvertretung verboten zu „allgemeinpolitischen“ Themen Stellung zu beziehen, weil man uns mundtot machen will, damit wir nicht kritisieren; damit wir uns nicht solidarisieren. Solidarisieren mit denjenigen, die auch von verfehlter Politik betroffen sind.
Wir wollen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden; denn wir sind Studierende, wir sind Kulturschaffende, wir sind Alleinerziehende, wir sind Sozialleistungsbeziehende, wir sind Geflüchtete.
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In den Universitäten und Hochschulen sind die Beschäftigungsverhältnisse prekär. Der wissenschaftliche Mittelbau und wir studentische Hilfskräfte, sind mit befristeten Verträgen konfrontiert.
Wir hangeln uns von Vertrag zu Vertrag und arbeiten oft auf mehreren Stellen gleichzeitig, da wir uns sonst unser Studium nicht leisten können. Die Universität tritt unsere Rechte als Arbeitnehmende mit Füßen. Unser Anspruch auf Urlaub wird missachtet, Krankheitstage müssen unbezahlt nachgearbeitet werden. Und wenn wir da nicht mitmachen, wenn wir uns wehren, dann müssen wir Angst vor Nachteilen in unserem Studium haben, denn häufig sind unsere Chefs auch die Profs, die uns benoten. Es ist ein absurdes Machtgefälle und ein furchtbares Abhängigkeitsverhältnis, in dem wir uns befinden.
Wir müssen Angst davor haben unsere Stimme zu erheben, da sonst der aktuelle Vertrag womöglich der letzte sein könnte. Es gibt zwar einen sog. „Kodex für gute Arbeit“, der vom Land Hessen für die Hochschulen geschaffen wurde. In Wahrheit bringt dieser Kodex aber nichts, vieles ist nicht verpflichtend oder die Unis halten sich gar nicht erst daran.
Freiwilligkeit bringt nichts. Freiwilligkeit ist Unsicherheit! Freiwilligkeit ist für die Tonne! Unis müssen zu guten Arbeitsbedingungen verpflichtet werden, denn sie funktionieren mittlerweile nach neoliberalen Prinzipien und werden sie alles dafür tun ihre Kosten so gering wie möglich zu halten und unsere Stimmen nach besseren Beschäftigungsverhältnissen zu unterdrücken.
Verpflichtung geht nur mit einem Tarifvertrag! Dieser regelt Stundenlohn, Arbeitszeiten, Urlaub und so viel, wie wir raushauen können, wenn wir uns organisieren, wenn wir in Gewerkschaften eintreten! Nur das schafft Sicherheit für uns und Verpflichtungen für die Unis. Und Sicherheit ist das, was wir in diesem System brauchen!
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Denn: Unter diesem System leiden wir Alle. Wir wollen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden; denn wir sind Studierende, wir sind Hilfskräfte, wir sind Kulturschaffende, wir sind Alleinerziehende, wir sind Sozialleistungsbeziehende, wir sind Geflüchtete.
Wir wurden, wir sind und wir werden vergessen.
Wir haben gekämpft, wir kämpfen und wir werden kämpfen.